Irreführende Berichterstattung über Kämpfe in der Ostukraine

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Maren
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Irreführende Berichterstattung über Kämpfe in der Ostukraine

Beitrag von Maren »

Westdeutscher Rundfunk Köln
Intendanz
Herr Buhrow
Appellhofplatz 1
50667 Köln



Programmbeschwerde: ARD Tagesschau 03.02.2017 um 20 Uhr
Irreführende Berichterstattung über Kämpfe in der Ostukraine


Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Tagesschau vom 03.02.2017 um 20 Uhr sendeten Sie einen Beitrag bezüglich der Eskalation des Konfliktes in der Ostukraine. Dieser Bericht war völlig einseitig und infolgedessen irreführend. https://www.tagesschau.de/multimedia/vi ... 56715.html

Jan Hofer sagte in seiner Anmoderation: „Ein Brennpunkt der Gefechte zwischen Armee und Russland-nahen Separatisten ist die Stadt Awitja.“ (Anmerkung: die Stadt heißt tatsächlich Awdijewka). Dass die Millionenstadt Donezk mindestens ebenso Brennpunkt des Beschusses war, wurde schon in der Anmoderation unterschlagen.

Danach folgten Erläuterungen von Golineh Atai, dass laut Beobachtungen der OSZE beide Seiten Anteil an der Eskalation hätten. Danach wurde eine Äußerung von Herrn Poroschenko eingeblendet: „Unsere Soldaten haben nicht den Befehl, auf eine Aggression nicht zu antworten.“ Golineh Atai: „Der Feind habe heute zum ersten Mal mit schwerem Gerät Zivilisten gezielt beschossen“. Weiter Golineh Atai: „Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig.“ Weiter beschrieb Golineh Atai die schwierige humanitäre Situation in Awdijewka ausführlich. Im Anschluss daran: „Im UN-Sicherheitsrat bedauerte die neue Botschafterin der USA, dass sie schon bei Ihrem ersten Auftritt die Aggression Russlands verurteilen müsse.“ Nikki Haley: „Wir wollen unsere Beziehungen mit Russland verbessern, aber die düstere Lage in der Ostukraine verlangt eine klare und starke Verurteilung russischer Handlungen“.

Weiter dann Golineh Atai: „Die Sanktionen hielten die USA aufrecht, bis Russland die Annexion der Krim rückgängig mache.“

Danach kommentierte Frau Atai noch kurz die Stellungnahme des russischen Botschafters beim UN-Sicherheitsrat, Witali Tschurkin: „Russlands Botschafter hingegen warf der Ukraine vor so zu tun, als ob sie Opfer einer Aggression sei, sie wolle sich damit Geldhilfen von der EU und den USA erschwindeln.“ Als Schlusssatz ging Golineh Atai kurz auf die Situation in Donezk ein: „Zerstörung und Tote auch in den Wohngebieten von Donezk, die unter Kontrolle der Separatisten stehen.“

Die Anmoderation, die Reihenfolge der Meinungsäußerungen, die Kommentierungen von Frau Atai, alles führte zu dem irreführenden Eindruck, die bösen „Separatisten“ hätten mit Unterstützung aus Russland wieder einmal eine Aggression gegen die notleidende Ukraine gestartet, worunter vor allem die Zivilisten in Awdijewka leiden, und ein bisschen ganz nebenbei und zum Schluss übrigens auch die Zivilisten in Donezk.

Der Schlusssatz bezüglich Donezk enthielt dem Publikum die zur Einordnung wichtigen Informationen vor:
Die OSZE hat mehr als 1200 Einschläge von schweren Waffen im Gebiet von Donezk innerhalb weniger Tage gezählt. Donetzk erlebt den seit langem intensivsten Beschuss aus Richtung Westen. Zivile Infrastruktur wie Energie- und Wasserversorgung, 5 Schulen und Wohnhäuser wurden beschädigt. Die ukrainische Armee und „Freiwilligen-bataillone“ beschießen Wohngebiete mit zielungenauen Waffen. Es gab viele zivile Tote. Die ukrainische Armee schoss mit einer BUK-Rakete eine OSZE-Beobachtungsdrohne ab (das Raketen-Unterteil stürzte in ein Wohngebiet). Totschka-U-Raketen (Boden-Boden-Raketen mit enormer Zerstörungskraft) wurden auf ukrainischer Seite in Stellung gebracht und vermutlich auch inzwischen verwendet.

Aus militärischer Sicht sind die ukrainischen Aktionen gegen Wohngebiete sinnlos und können nur zum Ziel haben, den Gegner zu Gegenmaßnahmen zu provozieren. Damit von einer Aggression der „Russland-freundlichen Separatisten“ gesprochen wird in westlichen Medien während Poroschenkos Besuch bei Frau Merkel, in Trumps neuem Team in Washington und bei der UNO in New York. Das wahre Ausmaß, in dem Zivilisten auch in Donetzk leiden, zivile Infrastruktur zerstört wird, erfahren hier im Westen nur diejenigen, welche sich die Mühe machen, die OSZE-Berichte zu lesen und mit den Nachrichten von vor Ort zu vergleichen.

In der Tagesschau vom 05.02.2017 wurde durch Herrn Lielischkies dann auch bestätigt, dass die ukrainische Armee mehrere Quadratkilometer Land „wieder zurückerobert hat“. „Die ukrainische Armee begründete dies damit, dass dies immer noch weniger sei, als die Separatisten nach dem Abkommen Minsk 1 erobert hatten.“
Unterschlagen wurde im Beitrag von Herrn Lielischkies die Schlussfolgerung, dass hier also eine Aggression der ukrainischen Seite und ein klarer Bruch des Abkommens Minsk 2 durch die ukrainische Seite vorlag. Und auch, dass es sich um Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung von Donezk handelte.

Sie fragen nicht, warum so häufig pünktlich zu Beginn von Auslandstouren des Herrn Poroschenko die militärische Lage in der Ostukraine eskaliert. Wenn der denkende Zuschauer sich fragt, cui bono? wem nützt es? kann er gut die Wertung nachvollziehen, welche Russlands Präsident zu dem Konflikt während einer Pressekonferenz in Budapest den Journalisten mitteilte: Kiew versucht, Geld und Unterstützung aus dem Westen zu erhalten.

Das Online-Portal der Süddeutschen Zeitung, Süddeutsche.de, erläuterte am 01.02.2017 in einem Artikel der Journalistin Cathrin Kahlweit die Hintergründe der neuen Eskalation etwas ausführlicher:

„Ukraine Krieg als Signal
Der Gefechtslärm im Donbass soll in Washington gehört werden. Doch wer hat die neuen Kämpfe provoziert?

Nicht nur in den USA hat der neue Präsident Donald Trump allerhand durcheinandergebracht. In der Ukraine löst die Furcht vor einer Annäherung Trumps an Moskau und die mögliche Aufhebung der Sanktionen regelrechte Panik aus. Staatschef Petro Poroschenko hat deshalb gerade erst in Berlin um Unterstützung geworben.
In diesem Augenblick kommen die schweren Kämpfe in der Ostukraine, die an Intensität wieder zunehmen, der Regierung in Kiew durchaus zupass. In den Augen der Ukrainer sind sie ein Beweis dafür, dass der Kreml sich neuerdings im Donbass mit einem Freifahrtschein ausgerüstet sieht, den es unter der Obama-Administration nicht gab. Umgekehrt vermuten Experten, die Eskalation sei von der ukrainischen Armee provoziert worden, um Washington die Dramatik der Lage zu signalisieren.

Die Wahrheit in diesem hybriden Krieg hat viele Facetten, und die traurigste ist: Beide Seiten nutzen schwere Waffen, beide Seiten töten, beide Seiten zielen, trotz Dementis, auf Wohngebiete, beide Seiten nehmen das Leid der Bevölkerung in Kauf. Kiew kann so verhindern, dass die russische Aggression in Vergessenheit gerät. Moskau profitiert indes davon, dass die Ukraine nicht mehr die Rolle des alleinigen Opfers, des Underdogs hat. Die Situation ist verfahren. Es steht zu befürchten, dass Trump zur Lösung des Chaos' nichts beitragen wird.“
Ihre Berichterstattung bezüglich der Situation in der Ostukraine ist alles andere als umfassend und unabhängig. Diese Berichterstattung verstößt gegen den Rundfunkstaatsvertrag. Es ist zu erwarten, dass Sie dies weiter in diesem Stil tun werden, wie schon in den vergangenen zwei Jahren. Seien Sie sich einer kritischen Begleitung gewiss. Ihre Glaubwürdigkeit steigern Sie mit solcher Berichterstattung bestimmt nicht.

Aus Gründen der Transparenz wird diese Beschwerde und weiterer Schriftverkehr auf unserer Webseite
https://publikumskonferenz.de/forum/ veröffentlicht.


Mit freundlichen Grüßen

Jens Köhler
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Maren
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Re: Irreführende Berichterstattung über Kämpfe in der Ostukraine

Beitrag von Maren »

Antwort aus der Programmgruppe Europa und Ausland FS von Tibet Sinha:
Antwort Sina_Ukraine_geschwärzt.pdf
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Maren
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Re: Irreführende Berichterstattung über Kämpfe in der Ostukraine

Beitrag von Maren »

WDR
Westdeutscher Rundfunk
Herr Buhrow, Herr Sinha
56000 Köln


Ihr Schreiben vom 11.03.2017

Unsere Programmbeschwerde zur ARD Tagesschau 03.02.2017 um 20 Uhr - Irreführende Berichterstattung bezüglich Kämpfen in der Ostukraine



Sehr geehrter Herr Buhrow, sehr geehrter Herr Sinha,

vielen Dank für Ihre Antwort auf unsere Programmbeschwerde zur ARD Tagesschau vom 03.02.2017.

Verständlicherweise teilen Sie uns mit, dass die Journalisten von WDR und ARD alles richtig machen. Leider geben Sie dabei unsere ursprüngliche Kritik falsch wieder und versuchen uns als Publikum erneut die einseitige Sichtweise von ARD und WDR aufzudrängen.

Wir erlauben uns darauf hinzuweisen, dass nicht wir als Zuschauer diejenigen sind, die sich dafür zu rechtfertigen haben, wie Ihre Berichterstattung als Gesamtheit aller Bestandteile, wie Bildauswahl, Text, Kontext, Reihenfolge und Wichtung von Informationen, auch Tonfall der Moderatorin, beim Empfänger ankommt.

Wir möchten uns gegen eine verkürzte und falsche Wiedergabe der ursprünglichen Kritik verwahren:

Beispiel 1:
Ihre Antwort
:
„Wie Sie aus der „Reihenfolge der Meinungsäußerungen“ zu dem Vorwurf kommen, Frau Atai erwecke einen irreführenden Eindruck der Situation, ist für uns nicht nachzuvollziehen“

Der Inhalt der Kritik war:
„Die Anmoderation, die Reihenfolge der Meinungsäußerungen, die Kommentierungen von Frau Atai, alles führte zu dem irreführenden Eindruck,…..“

Beispiel 2:
Ihre Antwort:

„Sie nennen dann zahlreiche militärische Details, die Angriffe der ukrainischen Seite auf die separatistischen Volksrepubliken beschreiben, und spekulieren dann über Motive der ukrainischen Seite für Angriffe auf Wohngebiete.“

Der Inhalt der Kritik war:
„Der Schlußsatz bezüglich Donezk enthielt dem Publikum die zur Einordnung wichtigen Informationen vor:
Die OSZE hat mehr als 1200 Einschläge von schweren Waffen im Gebiet von Donezk innerhalb weniger Tage gezählt. Donetzk erlebt den seit langem intensivsten Beschuss aus Richtung Westen. Zivile Infrastruktur wie Energie- und Wasserversorgung, 5 Schulen und Wohnhäuser wurden beschädigt. Die ukrainische Armee und „Freiwilligen-bataillone“ beschießen Wohngebiete mit zielungenauen Waffen. Es gab viele zivile Tote. Die ukrainische Armee schoss mit einer BUK-Rakete eine OSZE-Beobachtungsdrohne ab (das Raketen-Unterteil stürzte in ein Wohngebiet). Totschka-U-Raketen (Boden-Boden-Raketen mit enormer Zerstörungskraft) wurden auf ukrainischer Seite in Stellung gebracht und vermutlich auch inzwischen verwendet.
Aus militärischer Sicht sind die ukrainischen Aktionen gegen Wohngebiete sinnlos und können nur zum Ziel haben, den Gegner zu Gegenmaßnahmen zu provozieren.“

Wir haben weder über Motive der Angriffe spekuliert, noch militärische Details genannt, sondern Vorkommnisse, die von der OSZE notiert wurden und die bei anderen Nachrichtenagenturen wiedergegeben wurden.

Beispiel 3:
Ihre Antwort:

„Woher nehmen Sie die Gewissheit, die ukrainische Seite hätte die Gefechte initiiert?“

Der Inhalt der Kritik war:
„In der Tagesschau vom 05.02.2017 wurde durch Herrn Lielischkies dann auch bestätigt, dass die ukrainische Armee mehrere Quadratkilometer Land „wieder zurückerobert hat“. „Die ukrainische Armee begründete dies damit, dass dies immer noch weniger sei, als die Separatisten nach dem Abkommen Minsk 1 erobert hatten.“ “

Der Text von Herrn Lielischkies spricht doch für sich. Minsk 2 spielt überhaupt keine Rolle. Gemäß Minsk 2 dürften in Awdijewka gar keine schweren Waffen der ukrainischen Seite sein. Irgendwelche „Eroberungen“ wären gemäß Minsk 2 für beide Seiten gar nicht möglich.

Im Übrigen sind wir Zuschauer und verfügen nicht über das Reisebudget eines Udo Lielischkies, und können daher nicht selbst vor Ort nachsehen. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Besser wäre es, Ihre Korrespondenten würden vor Ort unvoreingenommen und vollständig berichten. Das heißt auch, nicht nur einfach „mit vielen beteiligten Personen sprechen“, sondern mit Vertretern beider Konfliktseiten zu sprechen – und zwar ohne Parteilichkeit und Wertung.

Herr Sinha, woher nehmen Sie denn die Gewissheit, dass die „Separatisten“ die Kampfhandlungen begonnen hätten? Glauben Sie ernsthaft, dass die „Separatisten“ so blöd sind, unmittelbar vor jeder Auslandstour von Herrn Poroschenko mit Kanonendonner zu unterstreichen, dass das Ausland Herrn Poroschenko noch mehr Geld und Waffen liefern soll?

Da erscheinen uns als Zuschauer doch eher die Hintergründe und Erläuterungen plausibler, welche die Journalistin Cathrin Kahlweit in Süddeutsche.de am 01.02.2017 mitteilte. Auf diesen Inhalt unserer Kritik gehen Sie überhaupt nicht ein in Ihrer Antwort.

Sie erläutern lediglich: „In Nachrichtenbeiträgen von 90 Sekunden für die Tagesschau müssen komplexe Kriegshandlungen auf wenige relevante Aspekte reduziert werden“.

Das ist eine Schutzbehauptung. Dass es selbst bei unwichtigen Themen auch länger dauern darf und kann, sieht man regelmäßig.

Zusammenfassen möchten wir damit, dass Ihre Antwort uns nicht wirklich überzeugt hat. Wir nehmen aber zur Kenntnis, dass die Journalisten von WDR und ARD immer alles richtig gemacht haben und es auch weiter tun werden.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Köhler
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