Sehr geehrter Herr Intendant Marmor,
das Pariser Attentat islamistischer Terroristen ist ein furchtbares Verbrechen. Darüber wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf allen Kanälen umfassend und medientypisch berichtet, vielfach nach dem Motto "when it bleeds, it leads". Die Opfer genossen dann besondere Aufmerksamkeit, wenn es sich um deutsche Staatsangehörige handelte – als ob der Tod nicht alle einte. Das jedoch ist leider ebenso tradierter wie schäbiger Usus in deutschen Massenmedien.
Was hingegen in der Berichterstattung fehlte, sind Kennzeichnungen von und Begründungen für die jeweilige Charakterisierung/Qualifizierung der islamistischen Mörderbanden; die changiert nämlich und ändert sich in verblüffend kurzer Zeit oft diametral.
Als es 2012 darum ging, einen Ableger der al-Quaida auf die UN-Terrorliste zu setzen, bedauerte der französische Außenminister Fabius entsprechende Bestrebungen mit den Worten, diese „Jabhat al-Nusra“ habe doch einen guten Job am Boden gemacht:"parce que, sur le terrain, ils font un bon boulot" (Le Figaro 23.12.12). Jetzt hat ihn dieser furchtbare „bon boulot“ – verübt von den gleichen Mörderbanden auf dem Boden der Hauptstadt Paris – eingeholt. ARD-aktuell hat nicht darauf hingewiesen...
Ähnlich ein Bericht auf tagesschau.de am 8.11.2014. In reißerischem Jargon und mit vor Sympathie und Begeisterung bibbernden Worten stand über den Alltag der Jabhat al-Nusra-Front zu lesen:
„Dschihadistinnen im Irak und in Syrien, Frauen für den "Heiligen Krieg"
„…...Ihre Erfolge im Bürgerkrieg verschafften der Jabhat al Nusra Zulauf. Die Kampfmoral ist hoch“ Und dann mit sympathisierender Zuneigung zu einer interviewten Frau der Mörderbande:".... Umm Jaafar hat, wie sie dem Reporter von Al Dschasira erzählt, hier auch ihren Mann kennengelernt: "Wir haben an der Front geheiratet und sogar ein kleines Fest gefeiert, zusammen mit den Kameraden. Gibt es etwas Schöneres als solch eine Hochzeit des Dschihad und des Sieges?" Der Einheit, die sie kommandiert, gehört auch ihr Mann an. Auf die Frage, wer in ihrer Ehe das Sagen hat, antwortet sie: "Ich natürlich! Ich bin seine Vorgesetzte, zu Hause und an der Front!"
Diese romantisierende Schnulze über eine Rebellenbraut erschien auf tagesschau.de vor einem schrecklichen Hintergrund, der die Pariser Morde in den Schatten stellt:
Am 11. Oktober 2013, hatte Human Rights Watch berichtet, die Jabhat al Nusra-Terroristen hätten zusammen mit mindestens 19 anderen bewaffneten Rebellengruppen vom 4. bis 18. August im syrischen Gouvernement Latakia ein Massaker verübt, bei dem mindestens 190 Zivilisten getötet und mehr als 200 als Geiseln genommen worden seien; mindestens 67 dieser Ärmsten seien dann in regierungstreuen Alawiten-Dörfern der Umgebung auf grauenhafte Weise "hingerichtet" worden.
Da die Verbrecher-Gruppe zum Zeitpunkt des tagesschau.de-Berichtes bereits von der UNO als terroristisch eingestuft war, ist der Beitrag von ARD-aktuell mindestens objektiv als unterstützende Aktion für eine terroristische Vereinigung einzuordnen.
Wir sehen einen Programmverstoß gegen die Normen des Rundfunkstaatsvertrages: Den Zuschauern wurde im Zuge der umfassenden Trauerberichterstattung über die Pariser Morde Wesentliches vorenthalten, das hilfreich für eine Einordnung des Geschehens gewesen wäre, konkret: Sie wurden nicht auf die gemäß jeweiliger Interessenlage wechselnde, d.h. opportunistische Einschätzung der Terrorgruppen seitens Politik und Massenmedien aufmerksam gemacht, auf einen amoralischen Bewertungswechsel, der in den westlichen Medien und bei westlichen Politikern allerdings gang und gäbe ist, wenn aktuelle Mordaktionen islamistischer Terroristen zu bewerten sind.
"Profilierte politische Aussagen und Analysen sind ebenso wesentliche Bestandteile des Programms wie die Information über bisher unbekannte Sachverhalte und Zusammenhänge. "Die Programme und Angebote der ARD haben der Allgemeinheit einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Die ARD soll hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern."
Wir sind der Überzeugung, dass der beschriebene Trend in der ARD-aktuell-Berichterstattung den staatsvertraglichen Bestimmungen Hohn spricht.
Wir bitten um Prüfung dieser Programmbeschwerde.
Mit freundlichen Grüßen
F. Klinkhammer
V. Bräutigam