Friedensmärsche in der Ukraine

Bevor Beschwerden formuliert werden, kann es mitunter sinnvoll sein zunächst Fragen zum Verständnis zu stellen, Quellen zu hinterfragen oder einfach Hinweise zu geben.
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Maren
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Friedensmärsche in der Ukraine

Beitrag von Maren »

Eine Zuschauerin stellte den beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten die Frage, warum die Redaktionen über die Friedensmärsche in der Ukraine so konsequent schweigen. Würden sie das auch tun, wenn sich eine ähnliche Menschenmenge auf den Kreml zubewegen würde?

Hier die Antworten von ARD und ZDF, die man auch so deuten könnte, dass das Publikum nur das zu sehen bekommt, was den Herrschaften in den Sendeanstalten in ihren tendenziösen Kram passt:

Sehr geehrte Frau Holst,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse an unserer Berichterstattung.

Die sogenannten Friedensmärsche in der Ukraine werfen viele Fragen auf, deren Beantwortung für die Entscheidung über eine Berichterstattung relevant ist. In einer Reihe von Punkten widersprechen sich Berichte seriöser Medien und verschiedener Internetseiten zu diesem Thema erheblich: Mal ist von zwei, mal von drei Zügen die Rede. Mal ist – ausgehend von den Zahlen zu Beginn – von 5000 bis 10.000 Teilnehmern die Rede, mal von Zehntausenden, mal von Hunderttausenden. Für den Abschluss in Kiew werden teilweise die von den Veranstaltern prognostizierten 20.000 Menschen genannt, auf einigen Webseiten ist von mehr als 1,5 Millionen Teilnehmern am Ende der „Kreuzzüge“ die Rede.

Die Teilnehmerzahlen zu verifizieren, ist schwierig. Auch die verbreiteten Videos und Fotos zeigen immer nur einen Ausschnitt, der keinen sicheren Schluss darüber zulässt, wie viele Menschen sich tatsächlich dauerhaft an den Märschen beteiligen. Das liegt auch daran, dass die Teilnehmerzahl nicht kontinuierlich wächst, indem sich unterwegs immer mehr Menschen anschließen. Vielmehr reihen sich unterwegs immer wieder Teilnehmer für eine begrenzte Strecke ein. So berichtete etwa die Nachrichtenagentur dpa am 18. Juli vom Marsch, der sich aus der Westukraine kommend auf Kiew zubewegt, über eine Demonstration mit etwa 4000 Menschen. Danach seien aber nur etwas mehr als 1000 von ihnen weiter in Richtung Hauptstadt gezogen. Aus dem Osten der Ukraine seien lediglich einige Hundert Menschen unterwegs.
Die Größe der sogenannten Friedensmärsche ist ein wichtiges Kriterium bei der redaktionellen Bewertung der Relevanz des Ereignisses für die Berichterstattung durch ARD-aktuell.

Die Redaktion stützt sich in solchen Fragen auf die Informationen und Einschätzungen der eigenen Korrespondenten sowie auf die Angaben der professionellen Partner, darunter insbesondere die internationalen Nachrichtenagenturen. Die auf dieser Basis anzunehmende Teilnehmerzahl ist noch kein zwingender Grund für eine Berichterstattung.

Auch die inhaltliche Bewertung der sogenannten Friedensmärsche, die teils auch als Kreuzzüge bezeichnet werden, spielt eine zentrale Rolle bei der Entscheidung für oder gegen eine Berichterstattung. Die Veranstalter betonen, es handle sich um eine „Pilgerfahrt“, bzw. um einen „Prozessionszug“. Ausrichter ist die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Die Teilnahme von Priestern, die die Märsche mit Kreuzen und Ikonen anführen, unterstreichen den religiösen Anspruch – verbunden mit dem Ziel des Gebets für den Frieden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es sich in erster Linie um eine religiöse Pilgerfahrt oder stärker um einen Marsch mit vorrangig politischem Hintergrund handelt. Denn Wallfahrten mit mehr als 10.000 Teilnehmern gibt es allein in Deutschland mehrmals pro Jahr – und natürlich sind auch dabei oft Gebete für den Frieden ein wichtiges Element. Aufgrund der Regelmäßigkeit großer christlicher Wallfahrten sind diese auch bei größeren Teilnehmerzahlen nur selten Gegenstand der Berichterstattung von ARD-aktuell.

Für eine politische Dimension der sogenannten Friedensmärsche sprechen die Begleiterscheinungen. Teilnehmer artikulieren ausdrücklich den Wunsch nach einem Ende der Kämpfe in der Ostukraine. Vertreter des Rechten Sektors versuchten wiederholt, die Marschierenden mit Blockaden aufzuhalten und beschimpften sie. Auch im Parlament in Kiew wurde inhaltliche Kritik an den Teilnehmern geäußert. Das Innenministerium erklärte zwar, vorrangig für den friedlichen Ablauf sorgen zu wollen, kündigte aber auch unpopuläre Mittel an, um dieses Ziel durchzusetzen.

Ein zentraler Punkt mit Blick auf die politische Dimension ist der in der Ukraine geäußerte Verdacht, der Pilgerzug diene in erster Linie Moskauer Interessen, indem die veranstaltende Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats ihre Position festigen wolle – in Konkurrenz zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partriarchats. Vor dem Hintergrund dieser politischen Komponente der „Pilgerfahrt“ kommt eine Berichterstattung für ARD-aktuell über dieses Thema durchaus in Frage, hängt aber sowohl von der Teilnehmerzahl als auch von den konkreten Ereignissen ab.

Klar ist bei alledem, dass das Zusammentreffen der verschiedenen Friedensmärsche in Kiew am 26./27.Juli als Kulminationspunkt der Ereignisse anzusehen ist. Je nach Teilnehmerzahl und konkreten Ereignissen rund um den Abschluss der Aktion wird ARD-aktuell dann – wie stets im redaktionellen Alltag – nach Relevanz- und Nachrichtenwertkriterien über eine Berichterstattung entscheiden.

Mit freundlichen Grüßen
Publikumsservice ARD-aktuell

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Sehr geehrte Frau Holst,

vielen Dank für Ihre E-Mail an das ZDF.

Welche Ereignisse und Themen in den tagesaktuellen Sendungen des ZDF angesprochen werden und in welcher Form dies geschehen soll, darüber wird in den Redaktionen immer wieder diskutiert und die Meinungen sind durchaus geteilt. Die Nachrichtenauswahl wird aber grundsätzlich von einer Perspektive bestimmt, die das besondere Interesse der Zuschauer in Deutschland voraussetzt. Der gegenwärtig stattfindende Kreuzzug nach Kiew ist ein solches Thema, über das wir aber mit Blick auf andere, uns wichtiger erscheinende aktuelle Ereignisse nicht berichten werden.
Ihre Kritik an dieser Entscheidung haben wir als Teil der Zuschauerresonanz auf Programm, Themen und Ereignisse festgehalten.
Wir freuen uns, wenn Sie auch weiterhin zu unseren interessierten Zuschauern gehören.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre ZDF-Zuschauerredaktion
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