20 Die Geschichte von der Nun-Ja-Freigiebigkeit der griechischen Mentalität
Verfasst: 9. September 2016, 22:24
20 Die Geschichte von der Nun-Ja-Freigiebigkeit der griechischen Mentalität - wer zahlt die Rechnung für das üppige Babadaki?
Fortsetzung der Tagesthemen vom 27.02.2015 (Teil II)
"Die Griechenschwaben - sie sind kritisch. Verständnisvoll, das schon, auch nicht knauserig, nur eben zweifelnd, ob immer mehr Geld auch wirklich die Probleme lösen kann."
Was sind die Probleme? Die Mehrheit der in dem Beitrag zu Wort kommenden Griechen ist sich einig: "Es muss sich tiefgründig etwas ändern" oder in den Worten des griechischen Kioskbesitzers, der am ausführlichsten zu Wort kommt:
a) Dieser Ergänzungsbeitrag zur Bundestagsentscheidung erfüllt v. a. drei Funktionen:
• Zum einen erinnert er den Zuschauer am Beispiel der sparsamen und erfolgreichen "Griechenschwaben" daran, dass die "üppigen Babadaki" von fleißigen und sparsamen Steuerzahlern in Deutschland bezahlt werden. Das Thema "Rechnung zahlen" wird in der Anmoderation sowohl verbal als auch visuell hervorgehoben, und zwar in Form der Serviettenaufschrift als Hintergrundbild.
• Zweitens werden am Beispiel der "Griechenschwaben" die Zweifel des Bundesfinanzministers veranschaulicht: "Finanzhilfen" trotz Zweifel am Reformwillen, so hatte Caren Miosga den vorangegangenen Beitrag zur Bundestagsentscheidung anmoderiert und dabei auch die an Goethe angelehnte Formulierung des griechischen Kioskbesitzers von den "zwei Herzen" in der Brust verwendet (s. Geschichte 19).
• Und schließlich wird in Gestalt ausgewählter Griechen in Stuttgart auch (scheinbar) der Nachweis erbracht, dass die sozialen bzw. wirtschaftlichen Probleme Griechenlands ausschließlich auf die "Nun-Ja-Freigiebigkeit" (ironisiert), also Verschwendungssucht der griechischen Mentalität zurückzuführen seien, was für den Zuschauer auch daran zu sehen ist, dass jene Griechen, die wie die Griechen in Bad Cannstatt die schwäbische Mentalität - also die deutsche Tugend der Sparsamkeit - verinnerlicht hätten, alle beruflich erfolgreiche Menschen seien. Caren Miosga spricht in ihrer Anmoderation von "guten Geschäften", im Beitrag heißt es dann, dass das griechische Geschäft "floriert".
Eine komplexe wirtschaftliche Problematik wird auf das triviale Niveau national-stereotypischer Klischees heruntergebrochen.
Dieser Beitrag bewirbt die Position der Bundesregierung. Er unterscheidet sich durch nichts von einem professionellen PR-Beitrag.
Nicht von ungefähr hebt Caren Miosga in ihrer Anmoderation einleitend den "vorbildlich fleißigen und sparsamen" Bundesfinanzminister hervor. Mit diesem Beitrag werden Erinnerungen an Angela Merkels berühmten Leitsatz von der Schwäbischen Hausfrau und deren Lebensweisheit aktiviert:
"Man kann auf Dauer nicht über seine Verhältnisse leben" (2008, Parteitag Stuttgart).
b) Das hohe Beeinflussungspotential dieses Beitrags basiert v. a. auf drei Faktoren:
• Zum ersten verhindert das große Identifikationsangebot des Beitrags eine für die kritische Reflexion notwendige Distanz: Sowohl Wolfgang Schäuble als auch die "Griechenschwaben" verkörpern hier in Abgrenzung zu den "hellenischen Landsleuten" die deutsche Tugend der Sparsamkeit.
• Des Weiteren wird eine für die kritische Reflexion notwendige Distanz durch narrative, reportage-ähnliche Elemente verhindert, die den Zuschauer in das Erlebnis von (erzählter) Realität, also tatsächlicher Erfahrung eintauchen lassen. So beginnt der Beitrag folgendermaßen: "Mittagspause in Deutschland. Ein Duft nach Mokka - stark und süß wie in der Heimat" oder später "Es ist eine regnerische Mittagspause heute in Stuttgart/Bad Cannstatt. Kein guter Tag fürs Geschäft, auch nicht fürs griechische, das hier ansonsten floriert."
• Und schließlich steigert die Glaubwürdigkeit des Beitrags, dass die Personalisierung von Schäubles Position hier in Gestalt nicht etwa schwäbischer Hausfrauen, sondern im Schwabenland lebender Griechen erfolgt, die hier als "opportune Zeugen" (Lutz M. Hagen) innerhalb der journalistischen Berichterstattung fungieren.
Es ist in diesem Fall eine Variation des Autoritätsarguments (argumentum ad verecundiam), das üblicherweise durch die gezielte Auswahl von Expertenmeinungen die Legitimität eines politischen oder wirtschaftlichen Standpunkts untermauern soll (s. Geschichte 19). Die glaubwürdigsten Experten in Fragen der griechischen Mentalität sind Griechen selbst. Welche Suggestivfragen gestellt, welche Antworten heraus- bzw. zusammengeschnitten worden sind, das weiß der Zuschauer nicht. Ihm wird suggeriert, die vermittelte Meinung sei repräsentativ für die "Griechenschwaben".
Fortsetzung der Tagesthemen vom 27.02.2015 (Teil II)
In dem folgenden Beitrag von Korrespondentin Jenni Rieger (SWR) äußern sich fünf beruflich erfolgreiche Griechen mit "schwäbischer Lebensart" aus dem Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt kritisch zum Sinn weiterer "Finanzhilfen": Die Korrespondentin fasst die Aussagen so zusammen:Caren Miosga (WDR): "Wolfgang Schäuble ist übrigens in Freiburg im Breisgau geboren, also Badener - wird aber immer wieder zu Unrecht ins Schwabenland einsortiert: Denn der Finanzminister gilt als [Kopfbewegung zur Hervorhebung] geradezu vorbildlich fleißig und sparsam." So leitet die Moderatorin über zu den "ausgerechnet" in Schwaben lebenden Griechen, die "den Schwaben in sich entdeckt haben", "gute Geschäfte machen" und "womöglich bald die Rechnung mit bezahlen müssen für ihre hellenischen Landsleute".
"Die Griechenschwaben - sie sind kritisch. Verständnisvoll, das schon, auch nicht knauserig, nur eben zweifelnd, ob immer mehr Geld auch wirklich die Probleme lösen kann."
Was sind die Probleme? Die Mehrheit der in dem Beitrag zu Wort kommenden Griechen ist sich einig: "Es muss sich tiefgründig etwas ändern" oder in den Worten des griechischen Kioskbesitzers, der am ausführlichsten zu Wort kommt:
In der bedeutungsstarken Schlussposition fasst dann der griechische Karosseriebauer das mit noch so viel Milliarden nicht lösbare Problem zusammen:"Das griechische Herz schlägt immer, aber ich bin auch Deutscher. Da sind zwei Herzen in meiner Brust: Wenn das Geld in die richtigen Töpfe kommt, richtig verwendet wird, spricht ja nichts dagegen- wenn es natürlich wieder läuft wie davor, verstehe ich natürlich, wenn die Leute sagen: 'Nee, das ist viel zu viel.' Aber als Schwabe? Gut, ich hab auch ein bisschen die schwäbische Mentalität: Man guckt natürlich schon so jedem Groschen hinterher und guckt, ob er auch richtig verwendet wird."
Den "Spagat" (Jenni Rieger) der Mentalitätsunterschiede bringt die Korrespondentin am Ende des Beitrags noch einmal anschaulich auf den Punkt:"Ich seh' da langfristig schwarz, weil: Die Gesellschaft, die ist anders, die hat 'ne andere Mentalität, und das ist sehr, sehr schwer zu verändern."
Analyse: Funktion und Wirkkraft des Beitrags"Es ist eine schwierige Balance zwischen schwäbischer Sparsamkeit und griechischer Nun-Ja-Freigiebigkeit, zwischen
kargem Früchtetörtchen und
üppigem Babadaki."
a) Dieser Ergänzungsbeitrag zur Bundestagsentscheidung erfüllt v. a. drei Funktionen:
• Zum einen erinnert er den Zuschauer am Beispiel der sparsamen und erfolgreichen "Griechenschwaben" daran, dass die "üppigen Babadaki" von fleißigen und sparsamen Steuerzahlern in Deutschland bezahlt werden. Das Thema "Rechnung zahlen" wird in der Anmoderation sowohl verbal als auch visuell hervorgehoben, und zwar in Form der Serviettenaufschrift als Hintergrundbild.
• Zweitens werden am Beispiel der "Griechenschwaben" die Zweifel des Bundesfinanzministers veranschaulicht: "Finanzhilfen" trotz Zweifel am Reformwillen, so hatte Caren Miosga den vorangegangenen Beitrag zur Bundestagsentscheidung anmoderiert und dabei auch die an Goethe angelehnte Formulierung des griechischen Kioskbesitzers von den "zwei Herzen" in der Brust verwendet (s. Geschichte 19).
• Und schließlich wird in Gestalt ausgewählter Griechen in Stuttgart auch (scheinbar) der Nachweis erbracht, dass die sozialen bzw. wirtschaftlichen Probleme Griechenlands ausschließlich auf die "Nun-Ja-Freigiebigkeit" (ironisiert), also Verschwendungssucht der griechischen Mentalität zurückzuführen seien, was für den Zuschauer auch daran zu sehen ist, dass jene Griechen, die wie die Griechen in Bad Cannstatt die schwäbische Mentalität - also die deutsche Tugend der Sparsamkeit - verinnerlicht hätten, alle beruflich erfolgreiche Menschen seien. Caren Miosga spricht in ihrer Anmoderation von "guten Geschäften", im Beitrag heißt es dann, dass das griechische Geschäft "floriert".
Eine komplexe wirtschaftliche Problematik wird auf das triviale Niveau national-stereotypischer Klischees heruntergebrochen.
Dieser Beitrag bewirbt die Position der Bundesregierung. Er unterscheidet sich durch nichts von einem professionellen PR-Beitrag.
Nicht von ungefähr hebt Caren Miosga in ihrer Anmoderation einleitend den "vorbildlich fleißigen und sparsamen" Bundesfinanzminister hervor. Mit diesem Beitrag werden Erinnerungen an Angela Merkels berühmten Leitsatz von der Schwäbischen Hausfrau und deren Lebensweisheit aktiviert:
"Man kann auf Dauer nicht über seine Verhältnisse leben" (2008, Parteitag Stuttgart).
b) Das hohe Beeinflussungspotential dieses Beitrags basiert v. a. auf drei Faktoren:
• Zum ersten verhindert das große Identifikationsangebot des Beitrags eine für die kritische Reflexion notwendige Distanz: Sowohl Wolfgang Schäuble als auch die "Griechenschwaben" verkörpern hier in Abgrenzung zu den "hellenischen Landsleuten" die deutsche Tugend der Sparsamkeit.
• Des Weiteren wird eine für die kritische Reflexion notwendige Distanz durch narrative, reportage-ähnliche Elemente verhindert, die den Zuschauer in das Erlebnis von (erzählter) Realität, also tatsächlicher Erfahrung eintauchen lassen. So beginnt der Beitrag folgendermaßen: "Mittagspause in Deutschland. Ein Duft nach Mokka - stark und süß wie in der Heimat" oder später "Es ist eine regnerische Mittagspause heute in Stuttgart/Bad Cannstatt. Kein guter Tag fürs Geschäft, auch nicht fürs griechische, das hier ansonsten floriert."
• Und schließlich steigert die Glaubwürdigkeit des Beitrags, dass die Personalisierung von Schäubles Position hier in Gestalt nicht etwa schwäbischer Hausfrauen, sondern im Schwabenland lebender Griechen erfolgt, die hier als "opportune Zeugen" (Lutz M. Hagen) innerhalb der journalistischen Berichterstattung fungieren.
Es ist in diesem Fall eine Variation des Autoritätsarguments (argumentum ad verecundiam), das üblicherweise durch die gezielte Auswahl von Expertenmeinungen die Legitimität eines politischen oder wirtschaftlichen Standpunkts untermauern soll (s. Geschichte 19). Die glaubwürdigsten Experten in Fragen der griechischen Mentalität sind Griechen selbst. Welche Suggestivfragen gestellt, welche Antworten heraus- bzw. zusammengeschnitten worden sind, das weiß der Zuschauer nicht. Ihm wird suggeriert, die vermittelte Meinung sei repräsentativ für die "Griechenschwaben".