DRadio - Das Geschichtsbild des Kreml

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Maren
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DRadio - Das Geschichtsbild des Kreml

Beitrag von Maren »

Deutschlandradio
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Intendant Dr. Willi Steul
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Programmbeschwerde

Sehr geehrter Herr Dr. Steul,

hiermit erheben wir, die Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e. V., formal Programmbeschwerde gegen die grob verfälschende und sachlich verzerrende Darstellung der historischen Sichtweise des russischen Präsidenten innerhalb der Berichterstattung Ihres Senders.

Im Beitrag „Das Geschichtsbild des Kreml: Putin verteidigt Hitler-Stalin Pakt und Teilung Polens“ vom 7.11.2014 http://www.deutschlandfunk.de/das-gesch ... _id=302596
heißt es u. a.:

„Der "Hitler-Stalin-Pakt" von 1939 war in Ordnung, findet der russische Präsident Wladimir Putin. Und Polen sei letztlich selbst verantwortlich gewesen für die Teilung des Landes zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion. Das sind einige der Ansichten, die Putin jetzt bei einem Treffen mit jungen russischen Historikern und Lehrern vertreten hat.“

Diese Deutung, die Sie durch aus dem Kontext gerissene Zitate zu untermauern versuchen, werden den Ausführungen Wladimir Putins auf seinem Treffen mit russischen Historikern vom 05.11.2014 sachlich in keiner Weise gerecht.
Original: Meeting with young academics and history teachers http://eng.kremlin.ru/transcripts/23185

Bereits der Inhalt der in Ihrem Beitrag zitierten Textpassagen zeigt auf, dass er mitnichten von der moralischen Richtigkeit des zwischen Molotow und Ribbentrop abgeschlossenen Paktes spricht, noch diese Entscheidung als eine darstellt, der eine adäquate politische Beurteilung der Aggression Nazi-Deutschlands durch Stalin zugrunde liegt, sondern lediglich darlegt, dass die Überlegungen Stalins hinter einem Nichtangriffspakt mit Deutschland analog zu den Motivationen und Überlegungen zu bewerten sind, die gleichfalls andere nationale Spieler zu diesem Zeitpunkt zur Zurückhaltung in der militärischen Konfrontation mit Nazideutschland bewogen haben.

Hierbei verweist er vor allem auf die desolate militärische Ausstattung der Roten Armee, die eine militärische Konfrontation zwischen beiden Ländern zu einer aussichtslosen Sache für Russland hätte erscheinen lassen.
Wenn Sie im Anschluss an das isolierte Zitat schreiben: „Die These, der von den Außenministern Molotow und von Ribbentrop ausgehandelte Pakt sei letztlich nur eine nötige Finte der Sowjetunion gewesen, wird durchaus auch von Historikern im Westen geteilt“, dann stellt bereits das Wort „Finte“ hier eine schiefe Bewertung statt, da dieser Schritt zuvor als Agieren aus einer Notsituation Sowjetrusslands dargestellt wurde.

Noch stärker verzerrend aber wirkt die Aussage:
„Putin hat sich ebenfalls schon mehrfach in diesem Sinn geäußert, früher aber auch von einem moralischen Fehler gesprochen und Bedauern ausgedrückt“, da hier gezielt der Eindruck eines präsidialen Geschichtsrevisionismus gestreut werden soll, von dem sich in den Ausführungen aber nichts findet. Vollends zu einer ungeheuren Unterstellung gerät jedoch der nun folgende Satz, der auch noch fälschlich durch die Setzung von Anführungsstrichen als Zitat präsentiert wird:

Umstrittener ist eine andere Äußerung, die der Präsident in dem Gespräch machte.
"Polen selbst an Teilung schuld"


Hier gipfelt Ihr Beitrag in übler Nachrede. Dieser als Zitat markierte Satz kommt in den Äußerungen des russischen Präsidenten an keiner Stelle vor. Denn die nun auch von Ihnen zitierten Zeilen enthalten keine historischen Interpretationen Putins, sondern nennen schlichtweg unumstrittene historische Fakten:

"There are still arguments about the Molotov-Ribbentrop pact, and the Soviet Union is blamed for dividing Poland. But what did Poland itself do, when the Germans invaded Czechoslovakia? It took part of Czechoslovakia. It did this itself. And then, in turn, the same thing happened to Poland".

Der in Ihrem Beitrag erweckte Eindruck, hier äußere sich russische Häme gegenüber Polen, zerstreut sich umgehend bei Berücksichtigung des von Ihnen sorgfältig ausgesparten Kontexts der Gesamtäußerungen, die nämlich eine Antwort auf die Frage eines jungen russischen Historikers nach der unvorteilhaften Darstellung des russischen Anteils am 2. Weltkrieg in westlichen Publikationen darstellt. In diesem Kontext sind die Ausführungen nämlich als durchgängig defensiv zu bewerten, da in ihnen lediglich dargestellt wird, dass die russische Führung ebenso wie alle anderen nationalen Regierungen auch (respektive die britische und die polnische) vermeiden wollte, frühzeitig in der vollen Wucht einer kriegerischen Konfrontation zu stehen, der sie befürchtete, nicht gewachsen zu sein.

Die verzerrte Darstellung dieses im Gesamtverlauf des Gesprächs unschwer zu erkennenden Zusammenhangs widerspricht dem Neutralitätsgebot eines öffentlich-rechtlichen Senders. Besonders bedenklich ist, wenn diese grobe Unsachlichkeit einem Sender widerfährt, der als deutscher Auslandssender jenes Land repräsentiert, das nicht nur Osteuropa, sondern auch Russland gegenüber die schuldhafte Verantwortung für den brutalsten und durch die ihm zugrundeliegenden rassistischen Konzeptionen tödlichsten Angriffskrieges der Weltgeschichte trägt.

Zum Zwecke der Transparenz werden wir diese Programmbeschwerde sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.


Mit freundlichen Grüßen


i. A. Maren Müller
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Maren
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Antwort DRadio - Das Geschichtsbild des Kreml

Beitrag von Maren »

Antwort des Intendanten von Deutschlandradio, Willi Steul, auf unsere Programmbeschwerde.
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Maren
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Antwort auf die Antwort - DRadio - Das Geschichtsbild des Kreml

Beitrag von Maren »

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Ihr Schreiben vom 10.12.2014

Sehr geehrter Herr Dr. Steul,

vielen Dank für Ihre Antwort auf unsere Programmbeschwerde wegen verfälschender und sachlich verzerrender Darstellung der historischen Sichtweise des russischen Präsidenten innerhalb der Berichterstattung im Beitrag „Das Geschichtsbild des Kreml: Putin verteidigt Hitler-Stalin Pakt und Teilung Polens“ vom 7.11.2014.
http://www.deutschlandfunk.de/das-gesch ... _id=302596

Putins Treffen mit jungen Akademikern und russischen Historikern vom 05.11.2014 konnte durchaus als hochkarätige Veranstaltung angesehen werden und hätte bei journalistisch objektiver Betrachtung erhebliches Potential für eine interessante und vor allem differenziertere Berichterstattung bereit gehalten.
Meeting with young academics and history teachers http://eng.kremlin.ru/transcripts/23185

Stattdessen übernimmt der Deutschlandfunk lediglich eine dürftige dpa-Meldung, deren Inhalt den Gesamtkontext der Veranstaltung vernachlässigt. Ihre Erwähnung der in Gänze in etwa gleichlautenden Medienberichte trägt nicht zur Verbesserung der Meldung bei.

Im beanstandeten Artikel eines nicht näher benannten Autors, werden mittels kreativer Übersetzung, präsidialer Geschichtsrevisionismus konstruiert und durch vermeintlich „zulässige Interpretationen“ Textpassagen sinnentstellt. Es gehört keinesfalls zu einer journalistisch sauberen Arbeitsweise, nicht getätigte Aussagen als Zitat zu kennzeichnen:

"Polen selbst an Teilung schuld"

Das Stilmittel der „direkten Rede" gibt wortwörtlich wieder, was eine Person gesagt hat.
Was Sie als „zulässige oder nicht überzogenen Interpretation“ einer Aussage beschreiben, ist schlicht unsaubere Übersetzung. Was der Satz meint, liegt in der Anmutung des Rezipienten - die subjektive Meinung des Nachrichtengebers ist dafür nicht ausschlaggebend, sondern der objektive Eindruck, den ein unbefangener Rezipient von der Information gewinnen muss.

Anhand der folgenden Übersetzungen wird der Gegenstand der vorliegenden Beschwerde vielleicht deutlicher. Aus zwei vermeintlich getätigten geschichtsrevisionistischen Aussagen Putins wird bei näherer Betrachtung ein eher nüchterner Rückblick auf Ereignisse, anstelle der unterstellten historischen (Fehl-) Interpretation.

Zitat Deutschlandfunk :
„Der "Hitler-Stalin-Pakt" von 1939 war in Ordnung, findet der russische Präsident Wladimir Putin.“

Original:
Я сейчас никого вообще не хочу обвинять здесь, но серьёзные исследования должны показать, что таковы тогда были методы внешней политики. Советский Союз подписал договор о ненападении с Германией. Говорят: ах как плохо. А что же здесь плохого, если Советский Союз не хотел воевать? Чего же здесь плохого-то? Это первое.
Wörtliche Übersetzung:
Zu diesem Zeitpunkt möchte ich keinen beschuldigen, doch ernst zu nehmende Untersuchungen werden zeigen, das waren damals die Methoden der Außenpolitik. Die Sowjetunion hat den Nichtangriffspakt mit Deutschland unterschrieben. Man sagt: Ach, wie schlecht ist das. Aber, was ist denn hier schlecht, wenn die Sowjetunion nicht kämpfen (Krieg führen) wollte? Was ist denn hier schlecht? Das ist 1.
Original:
А второе: даже зная о неизбежности войны, полагая, что она может состояться, Советскому Союзу, кровь из носа, нужно было время для того, чтобы модернизировать свою армию. Нужно было поставить новую систему вооружений. Каждый месяц имел значение, потому что количество систем залпового огня, которые «катюша» назывались, или танков Т-34 единицами насчитывалось в советской армии, а их нужны были тысячи. Каждый день имел значение. Поэтому досужие рассуждения, болтовня на этот счёт на политическом уровне, может быть, и имеет смысл, для того чтобы обрабатывать общественное мнение, но этому должны быть противопоставлены серьёзные, глубокие, объективные исследования
Wörtliche Übersetzung:
Und 2.: Auch wenn man um die Unumgänglichkeit des Krieges wisse, wenn man damit rechne, das ein solcher stattfinden kann, die Sowjetunion, verdammt nochmal (Redewendung), brauchte Zeit, um die Armee zu modernisieren. Es war nötig neue Bewaffnungssysteme aufzustellen. Jeder Monat hatte Bedeutung, die Anzahl der Systeme des Salvenfeuers, welche man „Katjüscha“ nennt, oder T34-Panzer konnte man in der Sowjetarmee einzeln zählen und der Bedarf ging in Tausende. Jeder Tag hatte eine Bedeutung. Aus diesem Grund die ganze Unterhaltung und Geschwätz zu dieser Thematik auf der politischen Eben, haben möglicherweise den Sinn, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, doch diesem sollten ernsthafte, tiefe und objektive Untersuchungen gegenüber gestellt werden.
Zitat Deutschlandfunk: „Umstrittener ist eine andere Äußerung, die der Präsident in dem Gespräch machte.
“ "Polen selbst an Teilung schuld"

Zitat Deutschlandfunk: „Und Polen sei letztlich selbst verantwortlich gewesen für die Teilung des Landes zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion.“


Original:
„Или, например, до сих пор спорят по поводу пакта Молотова–Риббентропа и обвиняют Советский Союз в том, что он разделил Польшу. А сама Польша что сделала, когда немцы вошли в Чехословакию? Забрала часть Чехословакии. Так она сама это сделала. А потом получила ответную шайбу, и то же самое произошло.“
Wörtliche Übersetzung:
Oder, zum Beispiel, bis heute streitet man wegen des Molotov-Ribbentrop-Paktes und beschuldigt die Sowjetunion in der Polenteilung. Und was machte Polen selbst, als die Deutschen in die Tschechoslowakaj einmarschiert sind? Es hat ein Teil der Tschechoslowakaj eingenommen. Es hat das auch selbst gemacht. Und bekam eine entsprechende Antwort, und das gleiche fand statt.
Journalistische Arbeit orientiert sich zur richtigen Wiedergabe der Situation bzw. der Aussagen.
Saubere Zitate untermauern einen Artikel mit der geforderten Sachlichkeit. Wer verzerrt, verschweigt und Aussagen bewusst aus dem Zusammenhang reißt, arbeitet nicht journalistisch.

Zu Ihrer Schlussbemerkung:

Vereine sind unverzichtbarer Bestandteil einer Zivilgesellschaft, ohne die Demokratie nicht denkbar wäre. Ein Verein steht als juristische Person rechtlich nicht etwa unter einer Anstalt des öffentlichen Rechts - der Verein finanziert sich sogar selbst.
Der Zusatz „private Vereinigung“ ist daher so unpassend wie redundant.
Der Vereinszweck der Ständigen Publikumskonferenz ist unter anderem die Erlangung und Förderung von Medienkompetenz. Durch regelmäßigen Medienkonsum allein erlangt man bewiesenermaßen keine Medienkompetenz, sodass wir unseren Anspruch weiter fassen und nicht einfach nur konsumieren, sondern auch reklamieren. Dass Sie uns den unglaublichen Fauxpas der Verwechslung zweier deutscher Sender nachweisen konnten, ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur besonderen Legitimation.
Da sowohl die DW als auch DRadio umfassend, wahrheitsgetreu und sachlich zu berichten, sowie Herkunft und Inhalt der zur Veröffentlichung bestimmten Nachrichten mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen haben, ist unsere irritierende Verfehlung für den Beschwerdegegenstand nicht relevant.
Die Sendungen des Deutschlandradios sollen hingegen auch den Frieden, der Freiheit und der Verständigung unter den Völkern dienen, sodass der entsprechende Absatz - vor allem im Hinblick auf unser europäisches Nachbarland Russland - nicht gänzlich bar seiner Berechtigung ist.

Wir halten an unserer Beschwerde fest und rufen zur Befassung den Rundfunkrat des Deutschlandradios an.

Zum Zwecke der Transparenz werden wir diese Antwort sowie den weiteren Verlauf des Vorganges auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.


Mit freundlichen Grüßen


i. A. Maren Müller
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Re: DRadio - Das Geschichtsbild des Kreml

Beitrag von Maren »

Eingangsbestätigung Hörfunkrat
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Re: DRadio - Das Geschichtsbild des Kreml

Beitrag von Maren »

Der Programmausschuss von Deutschlandradio teilt mit, dass Programmgrundsätze nicht verletzt wurden und daher eine weitere Beratung der Beschwerde im Hörfunkrat entfalle.
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