Westdeutscher Rundfunk Köln
Intendanz
Herrn Buhrow
Appellhofplatz 1
50667 Köln
Unsere Programmbeschwerde vom 31.08.2014
Sehr geehrter Herr Buhrow,
die Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e. V. bedankt sich herzlich für die ausführliche Beantwortung unserer Programmbeschwerde vom 31.08.2014.
Wir teilen insbesondere Ihre Ansicht, dass bei der Bebilderung sensibler Themen stets kritisch geprüft werden muss, ob die Auswahl von kriegerischen Motiven tatsächlich aus redaktionellen Gründen geboten sei. Wir möchten dennoch auf einige Ausführungen aus Ihrem Antwortschreiben eingehen.
Sie bestreiten, dass der unterlaufene Fehler einen Rechtsverstoß darstellt. Ihre Argumentation ist dabei jedoch nicht stichhaltig.
Argument 1) Ein Verstoß laut §5 Abs.6 Satz 1 und 2 WDR-Gesetz sei nicht gegeben, da die in diesem Paragraphen genannte Sorgfaltspflicht sich auf Nachrichtensendungen beziehe. Das begleitende Online-Angebot zum WDR-Tagesgespräch gehöre aber im engeren Sinne nicht zu den Nachrichtenformaten.
Ihre Einschätzung entspricht nicht der anerkannten Gesetzeskommentierung zum Rundfunkrecht, wonach sich die sowohl dem Rundfunkstaatsvertrag (§10, 1) - bindend auch für den WDR - als auch dem WDR-Gesetz (§5, 6) zu entnehmende Pflicht, Nachrichten vor ihrer Verbreitung auf Wahrheit zu prüfen, entgegen dem Wortlaut nicht auf Nachrichtensendungen beschränkt:
"Unter Nachrichten im hier erwähnten Sinn sind nicht nur Informationen der Nachrichtensendungen zu verstehen, sondern sämtliche Äußerungen des Rundfunks auch in Unterhaltungssendungen u.a. Denn §10 Abs. 1 ist Grundnorm für die journalistische Berichterstattung und gilt damit schrankenlos für alle Sendungsinhalte."
(Norbert Flechsig, in: Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, hrsg. von Werner Hahn und Thomas Vesting, 3. Auflage, 2012, Seite 442, Randnotiz 22)
Argument 2) Bei der Beurteilung, ob der WDR zumindest gegen die sich aus der allgemeinen Wahrheitsverpflichtung gemäß §5, 4 WDR-Gesetz ergebende Sorgfaltspflicht verstoßen habe, machen Sie geltend, dass die verfälschende/fälschliche Verwendung des dpa-Fotos auf eine "reine Unaufmerksamkeit" zurückzuführen sei.
Die Logik der Argumentationsführung erschließt sich nicht. Gerade im Fehlen der Aufmerksamkeit besteht ja der Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, wonach Nachrichten vor ihrer Verbreitung auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen sind. Konkretisiert wird diese Sorgfaltspflicht u.a. in Ziffer 2 des Pressekodex:
"Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden."
Argument 3) Solche auf "Unaufmerksamkeit" beruhenden Fehler ließen sich trotz "Anstrengung" "niemals gänzlich" ausschließe.
Diese Argumentation ist in sich widersprüchlich. Denn von einer "Anstrengung", der Sorgfaltspflicht zu entsprechen, kann angesichts der "Unaufmerksamkeit" keine Rede sein. Das dpa-Foto war in seiner Bildbeschriftung (Datum: 2008, Ort: in der Nähe von Gori in Georgien) eindeutig. Der Allgemeinplatz, Fehler ließen sich nie gänzlich ausschließen, ist menschlich nachvollziehbar, aber für die Beurteilung eines Rechtsverstoßes in diesem Zusammenhang unerheblich.
Auch spricht die Häufigkeit der Unaufmerksamkeiten gegen diese Argumentation.
- Das besagte DPA-Foto aus dem Kaukasus wurde bereits am 28. August 2014 in der Sendung „Aktuelle Stunde“ als Hintergrundfoto verwendet (Beitrag "Gibt es eine russische Invasion?).
- Ebenso fand das Bild am 02. September 2014 Verwendung, obwohl der Fehler hier schon von den Programmverantwortlichen des WDR eingestanden war.
http://www.tagesspiegel.de/medien/ukrai ... 51538.html
- Letztendlich fand auch das im Beitrag „Russische Soldaten in der Ukraine“ vom 28.08.2014 innerhalb des WDR5 Meinungsmagazins Politikum verwendete Foto bereits am 01. März 2014 Verwendung und zeigte laut Untertitel bewaffnete Soldaten in der Krim-Stadt Balaclava.
http://www.wdr5.de/sendungen/politikum/ ... -true.html
Argument 4) Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der immanenten Verpflichtung, Falsches aus der
Berichterstattung auszuschalten, nach Kenntniserlangung schnellstmöglich zu korrigieren, genüge getan wurde.
(…)reagierte die Redaktion sofort und entschuldigte sich online sowie über Twitter (…)
Falsches aus der Berichterstattung lediglich „auszuschalten“ kann nicht Anspruch eines glaubwürdigen journalistischen Angebotes sein. Alle Inhalte der Mediatheken stünden laut Anspruch der ARD-Familie, aufgrund der verwendeten Übertragungstechnik, prinzipiell weltweit zur Verfügung und seien ohne Zusatzkosten abrufbar. Als Ausnahme davon würden lediglich einzelne Livestreams von Sportgroßereignissen wie der Fußball-EM mit Hilfe der IP-Adresse national begrenzt. Berichterstattungen mit fehlerhaften Inhalten sollten daher nicht einfach nur gelöscht werden, sondern durch entsprechende Kommentare mit Richtigstellung auf der Seite oder innerhalb der jeweiligen Sequenz versehen werden. Eine Richtigstellung innerhalb des laufenden Programmes würde darüber hinaus für die entsprechende Reichweite des Anliegens sorgen.
An einem durchschnittlichen Werktag (Montag bis Freitag) hören 0,70 Millionen Personen ab 10 Jahren in NRW das Programm WDR 5 (Quelle: Media-Analyse 2014).
Über die Anzahl der Hörer, die sie mit einer Entschuldigung über Twitter erreichen, kann nur spekuliert werden.
http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=436
Argument 5) Die Online-Redaktion von WDR 5 verwendete dieses Bild mit dem Bildtext: „Russische Soldaten in der Ukraine." Diese Formulierung war zwar insoweit korrekt, als dass die Annexion der Krim durch Russland völkerrechtlich nicht anerkannt ist, es sich bei der Krim also weiterhin um ukrainisches Territorium handelt.
Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht falsch.
Journalisten wissen im Grunde schon aufgrund ihrer Ausbildung, dass das, was auf der Krim stattgefunden hat, keine Annexion war. Mit Annexion wird im Völkerrecht laut Definition die gewaltsame Aneignung von Land gegen den Willen des Staates, dem es zugehört, durch einen anderen Staat beschrieben.
Es fand eine völkerrechtlich nicht zu beanstandende Sezession statt, d. h. eine Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit, bestätigt von einem Referendum, das die Abspaltung von der Ukraine billigte. Ihm folgte der Antrag auf Beitritt zur Russischen Föderation, den Moskau annahm. Sezession, Referendum und Beitritt schließen eine Annexion aus, und zwar selbst dann, wenn alle drei völkerrechtswidrig gewesen sein sollten. Sezessionskonflikte sind eine Angelegenheit innerstaatlichen, nicht internationalen Rechts. Diesen Status quo des Völkerrechts hat der Internationale Gerichtshof vor vier Jahren in seinem Rechtsgutachten für die UN-Generalversammlung zur Sezession des Kosovo bestätigt. Die Zwangswirkung der russischen Militärpräsenz bezog sich weder auf die Erklärung der Unabhängigkeit noch auf das nachfolgende Referendum. Sie sicherte die Möglichkeit des Stattfindens dieser Ereignisse; auf deren Ausgang nahm und hatte sie keinen Einfluss.
Zitiert aus Quelle von: Reinhard Merkel, Universität Hamburg
Nachzulesen hier:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/d ... 64-p4.html
Aufgrund mehrerer Falschinterpretationen von Zeitgeschehen die Wahl themenfremden Bildmaterials legitimieren zu wollen, halten wir nicht nur innerhalb der Argumentationslinie für fragwürdig, sondern protestieren auch dagegen.
Bilder zum aktuellen Zeitgeschehen können, wie wir aus der Geschichte wissen, ungeahnte Dynamiken entfalten. Die Visualisierung von Begebenheiten, Behauptungen und Beweisen appelliert an das Grundvertrauen der Menschheit in das Sichtbare: "Ich glaube nur, was ich sehe“.
Angesichts der weltweit angespannten Lage, der Verunsicherung der Bevölkerung und der berechtigten Angst vor einem Krieg, wird den (öffentlich-rechtlichen) Medien besondere Verantwortung zuteil.
Bereits durch diverse Betrugsaffären innerhalb weniger relevanter Themenbereiche wurde das Vertrauen des Publikums in die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten nachhaltig beeinträchtigt.
Vor diesem Hintergrund ist es auch unser Anspruch die Medienkompetenz der Rezipienten zu entwickeln und zu stärken.
Wir halten an unserer Programmbeschwerde fest und rufen darüber hinaus den Rundfunkrat an, in dieser Angelegenheit tätig zu werden.
Zum Zwecke der Transparenz werden sowohl dieses Antwortschreiben als auch der weitere Verlauf der Stellungnahmen auf der Webseite des Vereins
http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen
i. A. Maren Müller