Ukraine tauscht Gefangene gegen zusammengewürfelte Gruppe aus

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Maren
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Ukraine tauscht Gefangene gegen zusammengewürfelte Gruppe aus

Beitrag von Maren »

In diesem älteren Artikel in der New York Times wurden brisante Informationen offenbart:

Hier die Übersetzung von Dagmar Henn:

Die Ukraine tauscht Gefangene gegen zusammengewürfelte Gruppe aus
New York Times, 25.09.2014


Donezk, Ukraine - Auf den ersten Blick scheint der Gefangenenaustausch zwischen der ukrainischen Regierung und den pro-russischen Separatisten fair genug: Auf einem verlassenen Stück Autobahn entlang der Frontlinie liess jede Seite 28 Gefangene frei, und hielt damit das Prinzip der numerischen Gleichheit ein.
Unter den aufmerksamen Blicken der Vermittler der OSZE gingen die Gefangenen aneinander vorbei in die Freiheit.
Dann kamen die Fragen auf. Die pro-russischen Separatisten - die mit Hilfe der russischen Armee die Ukrainer in den Schlachten des August geschlagen und viele Gefangene genommen hatten - liessen Männer frei, die tatsächlich Kriegsgefangene zu sein schienen.
Die Ukrainer allerdings, denen es nach allgemeiner Überzeugung an Gefangenen fehlte, um einen eins-zu-eins Austausch durchzuführen, liessen eine gemischte Gruppe aus Männern, Frauen und Teenagern frei, in Trainingsanzügen oder schmutzigen Jeans, und, wie sie sagten, aus Gefängnissen bis aus dem fernen Kiew geholt.
Schon bald widersprachen viele davon jedem, der ihnen dort auf der Autobahn zuhören wollte, sie hätten nie für pro-russische Separatisten gekämpft, und hätten tatsächlich keine Ahnung, wie sie in einem Gefangenenaustausch in der Ostukraine gelandet seien.

"Ich war ein Zivilist und wurde nur mitgenommen, um die Zahl vollzubekommen," sagte Nikita Podikow, 17, in einem Interview. Die ukrainischen Soldaten nahmen ihn vor zwei Wochen in einer Stadt in der Nähe der Front fest, als sie sich zurückzogen.
Herr Podikow sagte, die Obrigkeit habe ihn beschuldigt, einer Bande pro-russischer Attentäter anzugehören, die hinter den feindlichen Linien operieren, aber hätten nie irgendeinen Beweis vorgelegt. "Ich habe nie gekämpft, ich habe nie jemand getötet", sagte er.
"Sie haben mich festgenommen, zwei Tage lang geschlagen und dann für den Handel behalten," sagte er. Am Sonntag landete er in einem Gefangenenaustausch von 27 Männern und einer Frau, von denen nur sieben Kämpfer der Rebellen waren.

In Interviews am Ort ihrer Freilassung und in einem Schlafsaal, in dem die ehemaligen Gefangenen in Donezk untergebracht wurden, erzählten ein Dutzend Männer, die im Laufe des Wochenendes ausgetauscht wurden, ähnliche Geschichten.
Einige sagten, sie seien vor Monaten in anderen Regionen der Ukraine festgenommen worden, für pro-russische politische Aktionen, wie die Teilnahme an Protesten für eine Autonomie der Ostukraine oder das Verteilen von Flugblättern.
Die Gefangenenaustausche, die jetzt täglich in der Ostukraine stattfinden, helfen, einen brüchigen Waffenstillstand zu verfestigen, indem sie Vertrauen zwischen den Verhandlern schaffen und den Gefangenen und ihren Familien Erleichterung bringen. Der Prozess betont ebenso das Ausmass der ukrainischen Niederlagen und die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit Kiews in einer ganzen Reihe von Fragen, den Gefangenenaustausch eingeschlossen, die in dem Waffenstillstandsabkommen vom 5.September, das die Feindseligkeiten beendete, offen gelassen wurden.

Die Übereinkunft verlangte von beiden Seiten, alle Gefangenen freizulassen, aber die Separatisten, die hunderte von regulären ukrainischen Soldaten gefangen halten, fordern einen eins-zu-eins Austausch, den sie nutzen, um Menschen zu befreien, die in der westlichen Ukraine für politische Aktivitäten und andere nicht militärische Gründe gefangen waren.
Auf beiden Seiten findet in Vorbereitung eines solchen Austauschs eine ausgeklügelte Abwägung der Austauschquoten statt. Auf beiden Seiten werden die Gefangenen, so sagte Wladimir Ruban, ukrainischer Offizier im Ruhestand und oberster Verhandler, in mehrere Kategorien unterteilt und unterschiedlich gewichtet, so wie Zivilisten, die bei Protesten festgenommen wurden, Kriegsgefangene und vermutete Spione.

Offiziere, Scharfschützen, der Spionage Verdächtigte und Soldaten mit schweren Verwundungen, die sofortige Behandlung brauchen, werden beim Tausch am höchsten bewertet.
"So wie wir verlernt haben zu kämpfen, haben wir verlernt, Gefangene auszutauschen, und so lernen wir jetzt diese Kunst von Neuem," sagte Herr Ruban. "Es ist eine neue Erfahrung."

Ein üblicher Austausch scheint der eines ukrainischen Wehrpflichtigen gegen einen pro-russischen Agitator zu sein, der während der ukrainischen Proteste im letzten Frühjahr ausserhalb der Regionen Donezk und Lugansk festgenommen wurde.
Herr Ruban hat schon schwierigere Tauschgeschäfte verhandelt. Früher in diesem Jahr tauschte Igor Bezler, ein Rebellenkommandant mit dem Rufzeichen Bes, oder Teufel, 17 ukrainische Offiziere gegen eine Frau, Olga Koligina, deren Wert für ihn irgendwie ein Geheimnis blieb. "Es ist schwieriger als eine einfache Banküberweisung," sagte Herr Ruban.
Die ukrainischen Behörden haben widersprechende Zahlen über die Menge ukrainischer Soldaten in Gefangenschaft angegeben.
Am Freitag schrieb Semen Sementschenko, der Kommandeur des Batallions Donbass, auf seiner Facebook-Seite, dass 853 ukrainische Soldaten in den Händen der Rebellen verblieben und 408 in den Kämpfen vermisst seien. Am Dienstag berichtete die Gruppe von Herrn Ruban, Officer Corpus genannt, eine Nichtregierungsorganisation pensionierter Offiziere, die die Freilassungen verhandelt, von 504 ukrainischen Soldaten, die noch in Gefangenschaft wären.
Bei dem Austausch am Sonntag hielten die Busse im Abstand von einigen hundert Metern, ihre Scheinwerfer leuchteten im Zwielicht und in der Ferne donnerten Artillerieexplosionen.
Oksana Bilozir, ehemalige Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, die sich für die Kiewer Regierung bei Geiselverhandlungen engagiert, ging über die Frontlinie, um die Listen mit ihrem Gegenstück bei den Separatisten abzugleichen, ehe die Gefangenen freigelassen wurden.
Ein Mann, der von der ukrainischen Armee freigelassen wurde, Oleg Furmann, 43, sagte, er war Soldat für die Volksrepublik Lugansk, eine der Rebellengruppen hier. Die Ukrainer verdächtigten ihn, Scharfschütze zu sein, sagte er, und so brachen sie seinen Zeigefinger, der noch in Gazebandagen eingewickelt war.
Sein besonderer Wert mag den Austausch befördert haben, sagte er, obwohl er leugnete, ein Scharfschütze zu sein. "Abgesehen von fünf gebrochenen Rippen und einem gebrochenen Finger geht es mir gut," sagte er.
Typischer für jene, die über das Wochenende ausgetauscht wurden, war Valeri Ginsberg, ein Geschäftsmann aus Kiew, der bei dem Austausch auf der Autobahn am Samstag freigelassen wurde.
In einem Interview sagte er, er sei nie in Donezk gewesen. Tatsächlich war er in Kiew bekannt als Befürworter engerer Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Er sei unter einem Vorwand verhaftet worden, sagte er.
"Sie haben uns wie Vieh gehandelt," sagte er. "Ich bin Bürger der Ukraine. Wie können sie das tun? Ich hätte meine Unschuld bewiesen. Ich wollte meine Unschuld beweisen. Aber sie haben mich nie gefragt."
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