Terroranschläge in Brüssel - Programmbeschwerde wegen Verstoßes gegen Programmgrundsätze

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Maren
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Terroranschläge in Brüssel - Programmbeschwerde wegen Verstoßes gegen Programmgrundsätze

Beitrag von Maren »

NDR
Intendanz
Herrn Marmor
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg


Terroranschläge in Brüssel - Programmbeschwerde wegen Verstoßes gegen Programmgrundsätze

Sehr geehrter Herr Marmor,

in einer Vormittagsausgabe der Tagesschau vom 22.03.2016, in deren Verlauf die Terror-Anschläge von Brüssel thematisiert wurden, kam während einer Liveschalte zum Brüssel-Korrespondenten Arnim Stauth themenfremdes Videomaterial zum Einsatz.

Das verwendete Überwachungsvideo, in welchem angeblich Szenen des aktuellen Anschlags auf den Flughafen in Brüssel aufgezeichnet wurden, zeigt Sequenzen aus einem nicht minder tragischen Attentat, welches sich im Januar 2011 in Russland ereignete.

Es fand offenbar weder eine Quellenprüfung, noch eine vernünftige thematische Einordung in die Liveberichterstattung statt, denn während der unvermittelten Einblendungen des Videos führte Arnim Stauth in etwa folgendes aus:
„Das alte Zentrum von Molenbeek wird ganz vorwiegend von arabisch-stämmigen, überwiegend marokkanisch-stämmigen Menschen bewohnt, von denen die Allermeisten - das muss man immer wieder betonen - überwiegend friedliche und gesetzestreue Bürger sind und mit Terrorismus überhaupt nichts zu tun haben, aber diese Szene dort war offensichtlich eine Stelle, wo sich eine Terrorzelle hat bilden können (….)“
Die Verquickung des (themenfremden) Videos mit dem Bericht des Brüssel-Korrespondenten zur Bevölkerungsstruktur im Stadtteil Molenbeek legt Zusammenhänge nahe, die zu einer Interpretation des Gesehenen führen, welche ungünstiger nicht sein könnten. Sie lässt darüber hinaus Schlüsse zur Intention der zuständigen Redaktion zu, das nichtverifizierte Video mit der kurzen Milieubeschreibung des Korrespondenten zu verbinden. Von Zufall oder einem "bedauerlichen Fehler" kann in diesem Fall wohl nicht gesprochen werden.

Dass ein Terroranschlag auch für involvierte Nachrichtenredaktionen eine Ausnahmesituation darstellt, ist unstrittig. Die reale Zustandsbeschreibung der Situation vor Ort sollte jedoch so kurze Zeit nach den Ereignissen zur Information der Öffentlichkeit ausreichen, ohne alle Register möglicher Fehler zu ziehen. Wenn so kurze Zeit nach einem Terroranschlag mit vielen Toten und Verletzten ein vermeintlich aktuelles Überwachungsvideo bei Youtube auftaucht, dann wäre bei Nachrichtenprofis eine gewisse Skepsis angebracht.

Der Chefredakteur von ARD-aktuell, Dr. Gniffke, äußerte im November vergangenen Jahres folgendes auf einem Podium der Reihe Mainzer Mediendisput:
„Verifizieren geht über Probieren. Wir haben zahllose Quellen mittlerweile. Bilder sind von jedem Winkel der Erde in fast … ohne Zeitverzug verfügbar. Gleichzeitig nimmt bei allen Akteuren die Neigung zu Inszenierung und zu Manipulation zu. Und insofern müssen wir gucken, was ist das da eigentlich an Material auf dem Markt. Deshalb haben wir bei ARD aktuell eine kleine Verifikationseinheit geschaffen. Das sind quasi Forensiker, die das Material untersuchen und gucken, was spricht dafür, was spricht dagegen, dass es authentisch ist, dass es richtig ist, dass es nicht manipuliert ist. Das ist eine Art Indizienprozess, der jedes Mal durchgeführt wird, an dessen Ende dann oft der Satz steht: in dubio nicht senden. Also, wenn es Zweifel gibt an der Echtheit, verwenden wir es nicht.“


Im BILDblog, der die neuerliche Terror-Medienposse dankenswerter Weise beispielhaft aufgedröselt hat, kann man als Ratschlag für Verifikationseinheiten und Quasi-Forensiker folgendes lesen:
„Und es wäre kein Hexenwerk gewesen, das herauszufinden. Es gibt einfache Tools, mit denen man Videos überprüfen oder im Internet nach ähnlichen Bildern suchen kann. Auch mit der umgekehrten Bildersuche von Google lässt sich sehr schnell checken, ob Fotos oder Videos früher schon mal irgendwo hochgeladen wurden.“
Wir erwarten, dass sich innerhalb der Nachrichtengebung der Tagesschau das Niveau deutlich zum Positiven wendet. Es kann nicht sein, dass der Chefredakteur in schöner Regelmäßigkeit international agierende Medien als unseriöse Quellen einstuft, jedoch die eigenen Redaktionen auf einer Ebene dilettieren, die dem Flaggschiff der Nachrichtengebung im deutschen Fernsehen wenig zur Ehre gereichen. Nicht nur die einseitigen Parteinahmen für vermeintlich westliche Werte und Interessen, die ursächlich für die wachsende Terrorgefahr in Europa verantwortlich zeichnen, sind ein Dauerärgernis, auch die mangelnde Fehlerkultur angesichts sich häufender Fehlinformationen ist ein suboptimaler Zustand.

Die Tendenz der Nachrichtengebung von Tagesschau und Tagesthemen sowie der hauseigenen „Experten“, dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit mit einer geschürten Atmosphäre der dauerhaften unterschwelligen Angst beizuhelfen, ist mehr als durchsichtig. Ein verantwortungsvoller Journalismus, der den Schrecken von Katastrophen und Terroranschlägen in vernünftige Relationen zu den alltäglichen Gefahren setzt und den Menschen damit Ängste nimmt, wäre dringend geboten.

Es wäre mehr als wünschenswert, wenn sich die öffentlich-rechtliche Nachrichtengebung mit der höchsten Reichweite endlich wieder auf Ihren originären Auftrag besinnen würde, der vor allem dem demokratischen Zusammenhalt der Gesellschaft und der Verwirklichung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu dienen hat und keineswegs den Interessen des Überwachungsstaates oder einer Kriegspartei. Sie sollten sich darüber hinaus die Frage stellen, inwieweit die Berichterstattung Ihres Hause dazu geeignet ist, den Terrorismus zusätzlich noch zu befeuern.

§ 8 Programmgestaltung
(1) Der NDR ist in seinem Programm zur Wahrheit verpflichtet.
(2) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. (…)
"Angst macht bekanntlich unfrei. Sie richtet uns ab zu kollektiver Zwangswahrnehmung. Zum Wir-ihr-Denken. Zu einer Mobifizierung der Politik. Das wissen auch die, die uns Angst einreden wollen. Ihre narrative Wühlarbeit zersetzt die Res publica wie die Terrorattacken. Vermutlich sogar wirksamer. Wenn das Mögliche ungeheuer ist, könnte es also von Vorteil sein, dass wir das Sensorium für das Wirkliche nicht verlieren. Und das heisst unter anderem, dass wir den wieseligen Angstkonditionierern in Politik und Medien genauer aufs Maul schauen müssen." Eduard Kaeser
Aus Transparenzgründen werden wir diese Programmbeschwerde sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.


Mit freundlichen Grüßen

i. A. Maren Müller
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Re: Terroranschläge in Brüssel - Programmbeschwerde wegen Verstoßes gegen Programmgrundsätze

Beitrag von Maren »

Die Antwort aus der Redaktion von ard-aktuell zu dieser Beschwerde ist auch eingegangen.
Gnffke_Brüssel_geschwärzt.pdf
(8.55 MiB) 1210-mal heruntergeladen
Anmerkung: Ich suche immer noch der Darstellung im Beschwerdetext, nachder die Tagesschau das Material aus dem Internet heruntergeladen hätte. Dr. Gniffkes Argumentation, dass Hintergrundinformationen bei Breaking News mit dem zeitgleich eingeblendeten Bildmaterial nicht immer übereinstimmten, ist grenzwertig, wenn man um die "Kraft der Bilder" gerade in solch brisanten Fällen weiß. Warum im Zweifel nicht mal einen Gang zurückschalten?

Die Beschwerde werden wir dennoch nicht weiterverfolgen, da der Fehler im laufenden Programm eingeräumt wurde.
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