Seite 1 von 1

Gefährliche Spiele im Schwarzen Meer

Verfasst: 9. Mai 2016, 20:03
von Maren
Norddeutscher Rundfunk
Intendant
Herrn Marmor
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg


Programmbeschwerde: Tagesschau.de - Gefährliche Spiele im Schwarzen Meer


Sehr geehrter Herr Marmor,

der Beitrag der Autorin Silvia Stöber „Gefährliche Spiele im Schwarzen Meer“ vom 05.05.2016 enthält wertende, spekulative und parteiische Positionen, die sowohl dem Gebot der Trennung von Kommentar und Nachricht widersprechen, als auch Tendenzen aufzeigen, die nicht dazu geeignet sind die Völkerverständigung in dem Maße zu fördern, die der Rundfunkstaatsvertrag vorsieht.

Embedded nennt man Personen im journalistischen Umfeld, die ohne weitere eigene Recherche oder gar Reflektion, den Standpunkt von Interessengruppen - hier NATO - wiedergegeben.

Die Autorin steht im Ruf, als Vorfeldexpertin explizit antirussischer Berichterstattung zu fungieren und über entsprechende Kontakte zu einschlägigen Stiftungen und Think-Tanks zu verfügen. Die politischen Aktivitäten und die Art ihrer Vernetzung zeigen auf, wie speziell kriegspolitisch und militärpolitisch einflussreiche Kreise die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tangieren. Dieser Artikel ist schlicht Kriegspropaganda und vom ersten Satz an eine Zumutung für friedenspolitisch interessierte und über Zusammenhänge informierte Menschen.

Tiefpunkte im beanstandeten Text:

1) "Dass Russland sonst auch zu militärischen Mitteln greift und Grenzen verrückt, hatte es mit der Eroberung der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim im März 2014 gezeigt."

Neben der Umwidmung der völkerrechtlichen Einordnung der Krim-Sezession als „Eroberung“ wird von der Autorin großzügig übersehen, dass

1. die Krim geschichtliche Wurzeln hat, die mit der Ukraine aktuell so gut wie gar nichts, mit Russland und der UdSSR dagegen aber sehr wohl und viel zu tun haben;
2. dass mit dem Stützpunkt Sewastopol ein gültiger Pachtvertrag der Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation bestand und besteht;
3. seit geraumer Zeit Unabhängigkeitsbestrebungen der Krim existierten;
4. ein Referendum mit dem Ziel der Eingliederung in die russische Föderation stattfand, das ein eindeutiges Ergebnis erzielte.

2.) Die Autorin würfelt weiterhin Daten, Ereignisse, Ursachen und Wirkung munter durcheinander, als ob es keine hinlänglich bekannten Fakten gäbe:

„ Dieser mit Effizienz geführte Einsatz führt nochmals vor Augen, dass Russland 2014 eine sicherheitspolitische Wende eingeleitet hat, auf den die NATO eine grundlegende und langfristige Antwort geben muss."

Mit keinem Wort wird in diesem, für freie Journalisten unwürdigen vorauseilenden Gehorsamsdekret erwähnt, dass in der fraglichen Zeit der vom Westen orchestrierte Putsch samt finanzieller und militärischer Unterstützung in der Ukraine stattfand. Die im Zitat erwähnte sicherheitspolitische Wende Russlands war eine legitime Antwort auf den Ukrainekonflikt. Dass ausgerechnet die NATO darauf “eine grundlegende und langfristige Antwort“ geben muss, ist eine Verdrehung von Ursache und Wirkung und kann als vorsätzliche Geschichtsklitterei bezeichnet werden.

3.) In der Interpretation von Ereignissen gibt es aus Sicht der Autorin "ein gemeinsames Interesse: das Risiko einer direkten Konfrontation gering zu halten." Angesichts der faktischen NATO-Osterweiterung eine kühne Behauptung. Entgegen der Beteuerungen des ehemaligen US-Außenministers Baker ist die NATO etliche Inches auf der Landkarte nach Osten expandiert:

1. Schritt Polen, Tschechien und Ungarn
2. Am 29. März 2004 traten diese sieben Länder der NATO bei: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien
3. Beim NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 wurde der Beitritt Albaniens und Kroatiens offiziell beschlossen. Ihr Beitritt wurde für den NATO-Gipfel im April 2009 in Kehl und Straßburg geplant, von allen NATO-Mitgliedern ratifiziert und am 1. April 2009 vollzogen.
4.) Das Ende der Nato-Expansion ist offen. Quelle: Wikipedia

4.) "Daneben reaktiviert die NATO das Konzept der Abschreckung. Denn so sagt es beispielsweise der litauische Außenminister Linas Linkevicius: Russland lässt sich nur durch Militärpräsenz beeindrucken und von Absprachen überzeugen."

Abschreckung ist ein Euphemismus für oben genannte Entwicklung. In Wirklichkeit könnte man von einer Einkesselung Russlands sprechen, wenn nicht sogar von einer Strangulierung. Die an Frieden und Stabilität interessierte Weltgemeinschaft hat auch die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation zu respektieren, deren Reaktionen auf die Strangulierung simpler geografischer und militärischer Logik folgt. Die Berichterstattung über die geostrategischen Begebenheiten haben somit nicht einseitig aus NATO-Sicht, sondern auch aus Sicht unseres russischen Nachbarn zu erfolgen. Alles andere widerspricht den Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages, dass durch die Programme die internationale Verständigung sowie die Friedenssicherung zu fördern sei.

5.) "Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Verlegung einer Panzerbrigade dorthin. (…) Da die Brigade zwischen mehreren Staaten rotieren soll, sieht die NATO diese Entscheidung in Einklang mit der Nato-Russland-Grundakte von 1997. Darin heißt es, dass in den einstmals mit der Sowjetunion verbündeten Staaten nicht "zusätzlich substanzielle Kampftruppen dauerhaft stationiert" werden sollen. Verstärkungen sind aber "für den Fall der Verteidigung gegen eine Aggressionsdrohung" oder bei Friedenseinsätzen möglich."

US-General Philip Breedlove kündigte bereits Ende März in der lettischen Hauptstadt Riga eine „Doktrin“ an, in deren Verlauf ab dem Jahr 2017 dauerhaft eine Panzerbrigade mit 4200 Mann in Osteuropa stationiert würde. Die Nato-Russland-Grundakte wurde bereits mit dieser Ankündigung gebrochen. Der Vorwurf der Verletzung oder Nicht-Einhaltung diverser Abkommen an Russland wird vom Westen stets mit gewissen doppelten Standards vollzogen, bei dem das Verschweigen eigener Verfehlungen an der Tagesordnung sind. Der bloße Inhalt des Dokumentes zeigt, wie weit sich die NATO über die Jahre von der völkerrechtliche Absichtserklärung von 1997 entfernt hat.

6.) Die Autorin macht spielerisch weiter mit ihrer Einkesselung: "Eine Schwarzmeerflotte der NATO?" "Seit Jahren sind NATO-Schiffe zu Patrouillen und Militärübungen im Einsatz." "Auch am Ende des russisch-georgischen Krieges 2008 fuhren US-Fregatten nach Batumi."

Interessant ist u. a., dass nicht nach der Entstehung des georgisch-russischen Konflikts gefragt wird. Der Russe ist wie üblich dämonisiert, sodass es keiner weiteren Erläuterung bedarf. Schon gar nicht, wenn dadurch Narrative ins Wanken geraten könnten.

"So flogen 2014 russische Kampfjets ähnliche Manöver nahe von US-Schiffen wie derzeit häufiger in der Ostsee."

Über DER Ostsee? Ist ja wirklich unerhört. Wie würde es sich wohl verhalten, wenn in der Karibik, so leicht auf Tuchfühlung zu Florida, russische Flottenverbände kreuzen würden? Dann wäre endlich ein handfester Beweis für die aggressive Haltung Russlands verfügbar.

7.) "Zu einem Vorwurf Russlands über den Bruch des Vertrages durch ein US-Kriegsschiff im Jahr 2014 erklärte die Türkei, weil das Schiff havariert gewesen sei, habe es das Schwarze Meer nicht rechtzeitig verlassen können."

Kriegsschiffe von Nicht- Anrainern des Schwarzen Meeres dürfen laut Vertrag nicht länger als 21 Tage im Schwarzen Meer patrouillieren. Das gilt erst recht für bis an die Zähne bewaffnete US-Kriegsschiffe wie die USS Donald Cook, USS Taylor, USS Mount Whitney, den Lenkwaffenzerstörer USS Ross, die teils absurde Begründungen für ihre jeweiligen Operationen ablieferten. Der Fall um die havarierte USS Taylor war trotz der von der Autorin erwähnten Intervention Russlands noch harmlos im Vergleich zu Manövern am Rand russischer Hoheitsgewässer, welche die Gefahr für einen Weltkrieg geradezu provozierten.

Abgesehen davon, dass die Autorin offenbar komplette Passagen zum Montreux-Abkommen aus Wikipedia abgeschrieben hat, wäre auch ein Blick auf die geopolitischen Veränderungen in Bezug auf die Anreinerstaaten seit Vertragsunterzeichnung im Jahre 1936 sinnvoll gewesen. Auch hier zeigt sich die oben erwähnte Strangulierung Russlands und die geostrategische Notwendigkeit für Russland entsprechende militärtechnische Maßnahmen zu ergreifen.

Die Autorin schließt mit den Worten: "Ein "Spiel ohne Regeln" dort wäre gefährlich - weit über die Region hinaus und neue Regeln in einer Weltordnung nach den Vorstellungen Putins nur schwer zu finden."

Ein „Spiel ohne Regeln“ wäre nicht nur in dieser Region gefährlich. Die Menschheit sollte tunlichst davor bewahrt werden, dass die einzig gültigen Regeln „für eine neue Weltordnung“ aus dem Pentagon und von der NATO diktiert werden. Dass Putin die Regeln der Weltordnung „auf Augenhöhe“ mit den USA neu bestimmen will, ergibt sich zwangsläufig aus der Geschichte der Beziehungen beider Länder. Die Regeln wurden bislang noch immer zuerst von den USA bzw. der Nato gebrochen.

Darauf gelegentlich hinzuweisen, wäre die Aufgabe öffentlich-rechtlicher Nachrichtengebung.

„Und wir haben immer vor der ständigen NATO-Erweiterung in Richtung Osten gewarnt. Es ist das Recht jedes Landes, seine Sicherheitsformen selbst zu bestimmen, doch sollte man verstehen, dass wir, wenn militärische Infrastrukturen sich den russischen Grenzen nähern, notwendige militärtechnische Gegenmaßnahmen ausführen werden. Das ist nicht persönlich zu nehmen, das ist reines Geschäftsverhalten“.
Sergei Lawrow

Aus Transparenzgründen werden diese Beschwerde und weiterführender Schriftverkehr auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlicht.

Mit freundlichen Grüßen


i. A. Maren Müller

Re: Gefährliche Spiele im Schwarzen Meer

Verfasst: 16. Juni 2016, 12:05
von Maren
Wortreiche Antwort aus der Redaktion von ard-aktuell auf die Programmbeschwerde:
Antwort Gefährliche Spiele_geschwärzt.pdf
(4.55 MiB) 1238-mal heruntergeladen